Der MICE-Quotient ist ein Werkzeug, mit dem man das eigene Romanprojekt auf Stringenz abklopfen und Haupt- und Nebenplots konzipieren kann. Es geht zurück auf Orson Scott Card, den Autor von „Ender’s Game”.
Was ist der MICE-Quotient?
Nach Cards Theorie gibt es vier Aspekte, nach denen eine Geschichte aufgebaut werden kann. Wohlgemerkt kann jede Geschichte mehrere dieser Aspekte oder auch alle aufnehmen, aber einer steht immer im Mittelpunkt, und es hilft, den zu kennen, um seine Geschichte richtig aufzubauen. Diese Aspekte sind:
Milieu – Umgebung, Setting, Ort
Inquiry – Frage, Rätsel, Untersuchung
Character – Figur
Event – Ereignis
Milieu
In Milieu-Geschichten geht es um einen Ort. Am Anfang der Geschichte betritt die Hauptfigur diesen Ort, und das Ziel ist es, den Ort wieder zu verlassen. Gerne sieht man dies in Horrorgeschichten, beliebte Orte sind hier das Geisterhaus, eine Höhle, eine Insel oder ein geheimnisvoller Wald.
Da das Setting in diesen Geschichten im Mittelpunkt steht, muss es gut konstruiert und spannend sein. Der Ort selbst wird quasi zum Antagonisten und muss sich der Hauptfigur immer wieder in den Weg stellen. Natürlich bleiben die Figuren wichtig, doch ihre Entwicklung kann klassisch und weniger tief gestaltet sein.
Inquiry
Hier dreht sich alles um eine Frage. Zum Beispiel: Wer hat das Opfer getötet? Krimis und Thriller sind klassische Genres, in denen die Frage im Mittelpunkt steht. Oft stapeln sich Fragen aufeinander, wenn die Kommissarin zum Beispiel schon weiß, wer es getan hat, aber sich dann die Frage stellt, ob sich die Tat beweisen oder die Mörderin sich schnappen lässt. Die Geschichte endet, wenn die Fragen beantwortet sind.
Für diese Geschichten ist ein ausgefeiltes Informationsmanagement wichtig, denn alles dreht sich um Fragen, Antworten, Hinweise, falsche Fährten und dergleichen. Ein guter Plan ist hier unerlässlich.
Character
In diesen Geschichten steht die Entwicklung der Hauptfigur im Mittelpunkt. Etwas muss gelernt werden, ein Zustand des Unglücks überwunden werden, und dazu ist ein innerer Wandel nötig. Natürlich darf die Entwicklung der Hauptfigur in keiner Geschichte fehlen, doch in diesen Geschichten ist sie das zentrale Element.
In Character-Geschichten ist es besonders wichtig, dass die Hauptfigur gut ausgearbeitet ist. Sie muss in all ihrer Tiefe nachvollziehbar und verständlich sein, sich selbst im Weg stehen und ist meist ihr eigener größter Feind.
Event
Diese Geschichten beginnen meist mit einem Ereignis, das das Gleichgewicht der Welt aus den Fugen bringt: Aliens landen auf der Erde, eine Naturkatastrophe ereignet sich, jemand verliert seinen Job. Die Geschichte endet dann, wenn das Gleichgewicht wiederhergestellt ist.
Das Event sollte in jedem Fall so groß und außergewöhnlich sein, dass es die Welt der Hauptfigur in ihren Grundfesten erschüttert. Dennoch wird es in Event-Geschichten die Figur selbst sein, die die Geschichte vorantreibt, sie muss also gut ausgearbeitet sein und eine klare Motivation mitbringen, die über das Überwinden des Missstands hinausgeht.
Mischformen
Letztendlich sind wahrscheinlich alle Geschichten Mischformen dieser vier Aspekte. Dennoch kann es vor allem beim Plotten helfen, wenn man sich darüber im Klaren ist, welcher Aspekt der wichtigste ist. Wenn man mit mehreren Handlungssträngen arbeitet, kann einer zum Beispiel eine Inquiry- und ein anderer eine Event-Geschichte erzählen. So hält man das Buch dynamisch und abwechslungsreich.
Wenn ihr mehrere Aspekte vermischt, schlägt die Autorin Mary Robinette Kowal vor, die Geschichte wie Code zu behandeln: Man beendet zuerst den Aspekt, den man als Letztes eingeführt hat. Ein beliebtes Beispiel ist „Der Zauberer von Oz” (habe ich gestohlen von Storymonster):
<Charakter> Dorothy ist unzufrieden mit ihrem Leben.
<Ereignis> Sie läuft von zu Hause weg.
<Milieu> Sie kommt nach Oz.
<Frage> Wie kommt sie wieder nach Hause?
Die Geschichte entfaltet sich.
</Frage> „Du hattest die Kraft die ganze Zeit in dir selbst.“
</Milieu> Dorothy verlässt Oz mithilfe ihrer magischen Schuhe.
</Ereignis> Sie wacht zu Hause in Kansas auf.
</Charakter> „Nirgendwo ist es schöner als zu Hause!“
Natürlich gilt auch für den MICE-Quotienten, dass er kein festes Regelwerk ist, sondern ausschließlich ein Werkzeug, das ihr zur Hand nehmen könnt, wenn ihr hängt oder nicht wisst, wohin die Geschichte führen soll. Er eignet sich übrigens auch hervorragend, um Konflikte zu kreieren. Dazu mehr im nächsten Blogbeitrag.
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