Letzten Monat haben wir über die Grundlagen des Prinzips „Show, don’t tell“ gesprochen. Dort ging es darum, Emotionen zu erzeugen, indem Handlung gezeigt und szenisch erzählt wird. Wenn ihr den Artikel noch nicht gelesen habt, hier findet ihr ihn.
Heute wollen wir herausfinden, wie ihr das Prinzip auf Beschreibungen anwendet – denn auch die muss es in Romanen geben.
„Show, don’t tell“ bei Figurenbeschreibungen
Vor allem Figuren möchten die Lesenden sich vorstellen können. Wie umfangreich sie beschrieben werden, hängt sehr von euch als Autor*innen ab. Manche sind gerne sehr genau und legen das Aussehen bis hin zur Form der Ohren fest, andere beschränken sich auf ein paar Merkmale, wieder andere verzichten beinahe ganz auf äußerliche Beschreibungen. Wichtig ist in jedem Fall, dass die Beschreibung nicht wie eine Liste daherkommt wie in folgendem Fall:
„Er war sehr groß, hatte eine dünne Statur und schütteres, blondes, langes Haar. Seine Augen waren schmal und grau und seine Nase leicht schief. Er trug einen kurzen Kinnbart und war in einen langen, braunen Mantel gehüllt.“
Als Erstes fallen die Verben auf. Dreimal erscheint das Verb „sein“, einmal lockert „tragen“ den Text ein wenig auf, doch wirklich aktiv wird die Passage auch dadurch nicht. Außerdem strotzt der Text vor Adjektiven: fünf alleine im ersten Satz, elf insgesamt.
Können wir uns den Mann vorstellen? Ja, sehr gut sogar. Aber was sagt uns diese Beschreibung über ihn? Was sagt sie uns über die erzählende Person? Löst das Bild Emotionen aus? Nicht wirklich.
Wie sieht es mit diesem Beispiel aus?
„Seine immense Größe allein erlaubte es ihm, mich über die Menge hinweg zu beobachten. Eindringlich blitzten seine grauen Augen mich an, auch wenn sie beinahe hinter dem Vorhang blonder Strähnen verschwanden. Selbst der braune Mantel konnte nicht verbergen, wie hager er war, und als er die Hand ans Kinn hob und sich über den kurzen Bart strich, entblößte er ein knochiges Handgelenk.“
Im Gegensatz zum ersten Beispiel sind die Beschreibungen der Figur hier in Handlung eingebettet. Der Mann ist nicht nur die Summe seiner Eigenschaften, sondern er tut Dinge: Er beobachtet, er blitzt die erzählende Figur an, er streicht sich über das Kinn. Hier passiert etwas, es entsteht eine Beziehung zwischen diesen zwei Menschen. Denkt also daran: Je mehr ihr die Beschreibungen in Handlung einbetten könnt, desto besser.
Sicher kann man darüber streiten, ob jedes Detail hier notwendig ist. Müssen wir wissen, dass der Mann blond ist? Ist es relevant, welche Farbe der Mantel hat? Und wem von euch ist aufgefallen, dass ich die schiefe Nase im zweiten Beispiel unterschlagen habe?
Stellt euch bei Beschreibungen immer die Frage: Was wollt ihr an dieser Stelle tatsächlich erzählen? Welche Emotionen wollt ihr erzeugen? Wie soll die Person wirken? Anhand dessen wählt ihr die Attribute aus. Das bedeutet auch: Augen- und Haarfarben sind oft weniger relevant, als viele Autor*innen meinen. Eine tiefe Sorgenfalte auf der Stirn oder eine besondere Frisur sagen mehr über den Charakter aus.
Natürlich gibt es hier Unterschiede je nach Genre. In Romance-Romanen wird sicher mehr Wert auf genaue körperliche Beschreibungen gelegt als in Krimis, und in den fantastischen Genres, in denen fremde Spezies und Fabelwesen vorkommen, darf es auch etwas mehr sein. Aber auch hier gilt: Je mehr ihr davon durch Handlung erzählen könnt, desto besser.
„Show, don’t tell“ beim Setting
Dasselbe Prinzip gilt natürlich auch, wenn ihr Orte oder ganze Welten beschreiben wollt. Vor allem Landschaftsbeschreibungen eignen sich hervorragend, um Emotionen zu transportieren und Atmosphäre zu schaffen. Bleibt auch hier sparsam, stellt immer einen Bezug zu den Figuren her und pickt euch die Details heraus, die am besten die Stimmung ausdrücken, die ihr herstellen wollt.
Doch gerade in den fantastischen Genres stößt man da schnell an Grenzen. Es gibt so viele Besonderheiten in der Welt, die man sich ausgedacht hat, dass man es als Autor*in kaum aushält, in Kauf zu nehmen, dass die Lesenden gerade vielleicht ein falsches Bild vor Augen haben könnten.
Oft versuchen Schreibende, die wichtigsten Fakten der Welt in einen Prolog zu packen. Hier, so glauben sie, kann man schnell die zentralen Infos abladen, bevor es in die Handlung geht.
Doch der Schuss geht meist nach hinten los. Gerade Fans von populärer Fantasy und Sci-Fi mögen es, wenn sie schnell in die Handlung gezogen werden. Niemand will erst mal seitenlang mit Fakten zugedröhnt werden. Und da vor allem der Anfang eines Buches spannend sein muss, damit Interessierte es auch tatsächlich kaufen, rate ich von erklärenden Prologen ab.
Stattdessen gilt auch hier dasselbe wie bei Figurenbeschreibungen: Bettet die Eigenheiten der Welt in Handlung ein. Nicht jedes Detail der Welt muss von Anfang an erklärt werden. Nicht mal jeder Begriff muss den Lesenden bekannt sein – die sind es von diesen Genres gewohnt, dass es eventuell ein bisschen braucht, sich zurechtzufinden.
Dennoch stimmt es, dass Fantastik-Autor*innen einfach mehr zu erklären haben. Haltet euch dabei an diese Prinzipien:
Beschreibt die Besonderheiten eurer Welt nur an den Stellen, an denen sie gebraucht werden. Fragt euch immer: Ist diese Information hier wirklich relevant?
Bettet Beschreibungen so oft wie möglich in Handlung ein und nutzt sie dazu, Atmosphäre und Emotionen zu erzeugen.
Vermeidet ausladende Erklärungen in spannenden, handlungsgetriebenen Passagen. Beschreibungen drosseln immer das Erzähltempo, und wenn es gerade um Leben und Tod geht, ist es den Lesenden egal, wie genau das Magiesystem funktioniert oder welche Familiengeschichte der Angreifer hat.
Fazit
Auch bei Beschreibungen jeder Art ist „Show, don’t tell“ ein nützliches Prinzip, mit dem es uns gelingt, spannende, emotional ansprechende Texte zu schreiben. Je natürlich sich die Welt vor den Augen der Lesenden entfaltet, desto leichter lassen sie sich in eure Geschichte hineinfallen.
Im nächsten Artikel geht es um das berüchtigte Infodumping: Was ist es und wie könnt ihr es vermeiden.
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