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Von harter und weicher Magie

Heute möchte ich in der Reihe zum Worldbuilding einen kleinen Exkurs machen. Wir bleiben nach dem Artikel über Weltenbau in der Fantasy vom letzten Monat im Genre, konzentrieren uns aber diesmal auf Magiesysteme.

 

Die Magie ist ein zentrales Element des Fantasy-Genres. Damit sind jedoch nicht immer Zauberstäbe und Sprüche gemeint. Auch die Existenz von übernatürlichen Wesen, Göttern oder magischen Gegenständen fällt darunter. Aber etwas Übernatürliches kommt in der Fantasy üblicherweise vor. Doch auch diese Systeme folgen einer inneren Logik, weswegen es wichtig ist, sich im Vorhinein Gedanken darüber zu machen.



Ich entlehne meine Ideen und viele der Beispiele in diesem Artikel einem Beitrag von Brandon Sanderson, den ihr hier findet. Er unterscheidet zwischen Soft Magic Systems und Hard Magic Systems – und natürlich allem, was dazwischenliegt.



Hard Magic Systems

 

Diese Systeme folgen einem engen Regelwerk, und alles Übernatürliche, das im Laufe der Geschichte passiert, muss sich nach diesen Regeln richten. Wenn wir zum Beispiel eine Welt entwerfen, in der eine Gruppe von Menschen Feuerzauber wirken kann und eine andere Eiszauber, können wir nicht mitten im Buch plötzlich einführen, dass eine Figur sich außerdem in einen Drachen verwandeln kann. Die Leserschaft hat sich zu diesem Zeitpunkt bereits darauf eingestellt, dass alle Probleme nur mithilfe der bereits erwähnten Magiearten gelöst werden können, und sie wird enttäuscht sein, wenn plötzlich eine neue Form der Magie auftritt, die die Regeln umwirft.

 

Ein gutes Beispiel hierfür sind Superhelden. Meist wird ganz zu Anfang der Geschichte definiert, was die Superheldenfigur kann: Superman hat Laseraugen, einen Röntgenblick, ist superstark und schnell, kann fliegen und Kugeln prallen von ihm ab. Das war’s. Alles, was er tut, muss aus diesen Fähigkeiten gespeist werden. Wenn er plötzlich in einer bestimmten Krisensituation eine neue Fähigkeit auspacken würde, die die Lesenden nie zuvor gesehen haben (zum Beispiel, dass er jemanden einfrieren kann), wird das als Betrug an der Fiktion verstanden. (Tatsächlich war das in den frühen Comics ein Problem, in denen Superman immer wieder neue Fähigkeiten angedichtet wurden, die man dann später aber wieder vergaß.)

 

Wenn ihr also ein hartes oder strenges Magiesystem entwickelt, macht euch von vornherein klar, welche Fähigkeiten es geben soll, und baut alles andere logisch darauf auf.

 

 

Soft Magic Systems

 

In diesen Systemen ist die Magie eher vage und wenig definiert, was meist auch daran liegt, dass die zentralen Figuren keine oder wenig Magie beherrschen. Beispiele hierfür sind „Der Herr der Ringe“ oder „Game of Thrones“. Hier ist es durchaus gestattet, dass immer mal wieder neue übernatürliche Elemente auftauchen, doch auch diese sollten sinnvoll eingeführt und nicht einfach in einer Krisensituation aus dem Hut gezaubert werden.

 

Ein gutes Beispiel hierfür sind die Priester:innen des Herrn des Lichts in „Game of Thrones“ (der Serie, Achtung: Spoiler). Sie sind die einzigen Menschen, die aktiv Magie wirken können, und das auch nur sehr begrenzt und nicht immer zuverlässig. In Staffel 3 wird gezeigt, wie Beric Dondarrion von Thoros von Myr von den Toten erweckt wird. Dies ist die Vorbereitung dafür, dass in Staffel 6 eine viel wichtigere Figur, nämlich Jon Snow, von der Priesterin Melisandre ins Leben zurückgeholt werden kann. Interessant ist auch, dass Melisandre vorher nicht weiß, ob sie dazu überhaupt in der Lage ist, und dass es danach nie wieder passiert. Es gleicht mehr einem Wunder als einer Fähigkeit.

 

Wenn ihr also eine Welt mit einem weichen Magiesystem entwerfen wollt, sollte die Magie eher eine Nebenrolle in eurer Geschichte einnehmen und zwischendurch für den sogenannten Sense of Wonder sorgen, also das Staunen über ein Wunder.

 

 

Zwischen Hard und Soft

 

Natürlich gibt es auch Magiesysteme, die irgendwo zwischen hart und weich angesiedelt sind. In diesen Welten gibt es zum Beispiel viel Magie oder genaue Regeln, nach denen Fabelwesen funktionieren, doch hinzu kommen immer wieder weichere Elemente, die den Sense of Wonder aufrechterhalten.

 

Hierzu zählen zum Beispiel die Harry-Potter-Bücher. Prinzipiell folgt die Magie in dieser Welt einem relativ festen System: Es gibt Zauberstäbe, Sprüche, sogar die genaue Bewegung des Zauberstabs muss stimmen, damit der Zauber gelingt. Zusätzlich werden in den einzelnen Büchern aber immer wieder neue Elemente eingeführt, die plötzlich erscheinen und nur in dem jeweiligen Buch eine wichtige Rolle spielen. Bei Harry Potter sind das meist Gegenstände, deren Funktionsweise zwar erklärt wird, doch wie sie entstanden sind und ob man auf diesem Wege nicht auch andere praktische Gegenstände herstellen könnte, wird nie diskutiert. Die Geschichte verlangt, dass wir akzeptieren, dass es diese und auch nur diese Gegenstände gibt und dass sie im Zweifelsfall nach dem Band vergessen oder zerstört werden und nicht wieder auftauchen können.

 

In diesen Systemen ergeben sich deswegen manchmal logische Schwierigkeiten, mit denen die Schreibenden sich auseinandersetzen müssen. Wird an einer Stelle ein magisches Element eingeführt, muss ersichtlich sein, wieso es an anderer Stelle nicht wieder auftauchen kann. Sonst ergeben sich bei der Leserschaft Fragen und Zweifel an der Geschichte.

 

Stellen wir uns zum Beispiel vor, dass der Zeitumkehrer, mit dem Hermine in „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“ in die Vergangenheit reisen kann, auch in den folgenden Bänden noch aufgetaucht wäre. Was hätte das mit dem Trimagischen Turnier gemacht? Hätte man damit Cedric retten können? Oder wie hätte die Schlacht um Hogwarts ausgesehen, wenn einige Zauberer Zeitumkehrer benutzt hätten? Es hätte den Plot völlig verändert, weswegen die Lesenden einfach akzeptieren müssen, dass dieser Gegenstand von den Figuren vergessen wurde.

 

Auf solche Probleme solltet ihr beim Schreiben von mittelweichen Magiesystemen vorbereitet sein.

 


Infodumping

 

Sanderson’s First Law of Magic

 

Brandon Sanderson hat wegen dieser Schwierigkeiten ein paar Regeln für Magiesysteme aufgestellt, die ich sehr sinnvoll finde. Ich möchte in diesem Artikel vor allem die erste Regel beleuchten, die anderen könnt ihr selbst unter oben genanntem Link nachlesen.

 

Die erste Regel besagt, dass die Fähigkeit der Schreibenden, mithilfe der Magie Probleme zu lösen, direkt proportional zu dem Ausmaß sein muss, in dem die Lesenden die Magie verstehen. Oder vereinfacht ausgedrückt: Wenn die Lesenden ein genaues Bild davon haben, was die Magie bewirkt und wie sie eingesetzt werden kann, dann darf sie auch von den Figuren dazu benutzt werden, große Probleme zu lösen. Wenn die Magie hingegen vage ist und keinen festen Regeln folgt, dann darf sie nicht als wichtiges Element zur Lösung eines zentralen Konflikts benutzt werden.

 

Ein Beispiel: Stellen wir uns eine Geschichte vor, in der die Hauptfigur sich in ein Tier verwandeln kann, vielleicht in eine Maus. Das ist das Einzige, was diese Figur kann, und im Laufe der Geschichte sind die Lesende mehrmals Zeugen dieses Vorgangs geworden und haben erlebt, mit welchen Vor- und Nachteilen das einhergeht. In diesem Fall wäre es absolut sinnvoll, wenn genau diese Fähigkeit im finalen Konflikt zum Einsatz kommt – die Lesenden erwarten es geradezu. Das ist Hard Magic.

 

Wenn die Magie in der Welt aber eher vage ist und die Hauptfigur keine Magie besitzt, wäre es beinahe ein Betrug an der Geschichte, wenn sich die Hauptfigur im finalen Kampf plötzlich in eine Maus verwandeln würde und so den Feind austricksen und besiegen könnte. Denn die Fähigkeit, den Feind zu besiegen, muss aus der Figur selbst stammen. Deswegen muss Frodo persönlich zum Schicksalsberg gehen, um den Ring zu vernichten. Deswegen muss Arya den Nachtkönig auf ganz unmagische Weise erstechen. Weil die Lesenden nur auf diese Weise in ihren Erwartungen an die Geschichte befriedigt werden. Das ist Soft Magic.



Fazit

Wie alles im Worldbuilding will auch die Magie, die ihr in euren Romanen benutzt, genau durchdacht sein. Wenn ihr von Anfang festlegt, was die Magie in eurer Welt kann und wo ihre Grenzen sind, habt ihr die Chance, sie zu einem wichtigen Element im Spannungsaufbau zu machen.


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